Performative Intervention
/ Hinterfragende Interaktion
Daniela Medina Poch und Juan Pablo García Sossa
Tiergarten, Berlin, DE. 21.08.21

Warum wird das Bismarck-Denkmal renoviert und nicht abgerissen? Warum gibt es gleichzeitig öffentliche Gelder und Genehmigungen, die es Künstlerkollektiven erlauben, das Denkmal mit Papier,Farbe und kritischen Überlegungen zu überziehen, bevor es restauriert wird? Wo stehen wir als Künstler*innen, die aus Regionen kommen, die Kolonialität erfahren (haben), in diesem Dilemma?

 

Wir leben in einer Zeit, in der der dekoloniale Diskurs genug Resonanz hat, um öffentliche Förderung in Projekte mit kritischer Positionen fließen zu lassen. Aber noch reicht die Resonanz nicht, um Schullehrpläne zu ändern, die eine universelle Geschichte ohne eine Vielfalt von Perspektiven wiedergeben. Sie reicht nicht, um permanente Interventionen an Denkmälern zuzulassen. Sie reicht nicht für eine eingehende, kritische Untersuchung unserer Fundamente und auch nicht, um die kolonialen Schatten offiziell zuzugeben.

 

Alle tiefgehenden Transformationen brauchen Zeit, und während sie ihren nächsten Schritt erreichen, sind sie verschiedenen Widersprüchen ausgesetzt, wobei alte Diskurse mit aktuellen Diskursen im selben Raum und in derselben Zeit in Dialog treten. Solche Dialoge lösen in einer polarisierten Öffentlichkeit alle Arten von Reaktionen der Ermutigung und Entmutigung aus.

 

Unsere Aufgabe als Künstler*innen, die aus Regionen kommen, die Kolonialität erfahren haben und noch erfahren, setzt zunächst die Anerkennung einer Vielfalt von Schichten voraus. Wenn wir ursprünglich das Ziel hatten, zwischen zwei polarisierten Seiten zu vermitteln, eine gemeinsame Basis zu schaffen und zu diskutieren, was uns zusammenbringt und was uns trennt, haben wir durch das Feedback unseres Teams verstanden, dass eine Verpflichtung zur Übernahme von Verantwortung stattfinden muss, bevor ein Prozess der Vermittlung einsetzen kann. Wir machten uns mit einem hegemonialen Zentrum mitschuldig, wenn wir uns nicht kritisch auf die deutsche Kolonialgeschichte beziehen. In dieser Arbeit ergreifen die Gelegenheit, einen Weg tatsächlich zu durchkreuzen, zu stören, in ihn einzugreifen, der zum Denkmal desjenigen führt, der die Kongo-Konferenz (1884-1885) zur Aufteilung von Territorien und Gemeinschaften auf dem afrikanischen Kontinent ausgerichtet und mitinitiiert hat.

 

Das Zentrum von gestern, die Splitter von heute ist in den Weg zum Nationaldenkmal Otto von Bismarcks eingemeißelt, als eine Botschaft, die sich im Boden manifestiert, ein struktureller Riss, eine Wunde, ein Loch, das aufgefüllt und aktualisiert werden muss. Indem sie sich in den Weg, der zum Denkmal führt, eingräbt, wirkt die Botschaft wie eine Gegenvertikale, die den Boden erschüttern und sich in der Reflexion der Konnotationen und Werte, die durch das Denkmal monumentalisiert und konserviert werden, vertiefen will.

 

Das Zentrum von gestern, die Splitter von heute beschreibt ein überholtes Zentrum, das um den Preis der Fragmentierung gebaut wurde, und für historische Brüche verantwortlich zeichnet, die auch heute noch Menschen und Territorien auseinanderreißen. Das „Zentrum“ bezieht sich auf das koloniale Militärregime Bismarcks sowie die Zentralisierung von Information und Historisierung, auf eine zentralisierte hegemoniale Macht, die auf bestimmten Werten und Prinzipien beruht, die vor mehr als einem Jahrhundert etabliert wurden, aber auch auf ein Zentrum, das sich in unseren heutigen Wertesystemen und Hierarchien manifestiert: ein Zentrum, das bestimmte Leben, Weltanschauungen und Territorien gegenüber anderen privilegiert. Auch wenn das Denkmal durch den Lauf der Zeit zersplittert ist, wird es restauriert, um es weiter zu erhalten.

 

Besonderer Dank gilt der Unterstützung von Anna Jäger.

Ich bin Daniela Medina Poch (sie / ihr) – geboren und aufgewachsen in Bogotá, Kolumbien, lebe ich jetzt in Berlin, Deutschland, wo ich als bildende Künstlerin und Forscherin arbeite. Als hybride Praktikerin entwickle ich ortsspezifische künstlerische Interventionen, schreibe Texte und führe langfristige Forschungsprozesse durch. Indem ich die alltäglichen Verflechtungen zwischen Sprache, Identitäten und Territorien beobachte, zielt meine Forschung darauf ab, hegemoniale Diskurse und Kategorien zu dekonstruieren, die asymmetrische Machtverhältnisse aufrechterhalten. Ich bin Mitbegründerin von Babel Media Art, einer Plattform für zeitgenössische Kunst an der Fassade des Colpatria-Turms, Bogota, und bin derzeit Teil des Masterstudiengangs Art in Context an der Universität der Künste Berlin, des CO-RE-Kollektivs und des Neue Auftraggeber Network.
https://www.danielamedinapoch.com/

 

Ich bin Juan Pablo García Sossa JPGS (*Bogotá, COL) – ein Gestalter, Forscher und Künstler, der vom Zusammenprall zwischen neuen Technologien und der vernakuläre Kultur in tropischen Gebieten fasziniert ist. In meiner Praxis erforsche ich die Entwicklung von Kulturen, Visionen, Realitäten und Welten durch den Remixen und die Umnutzung von Technologien aus einer Tropikós-Perspektive (Tropen als Region und Denkweise). Ich habe an verschiedenen Forschungseinrichtungen und Designstudios mitgewirkt und bin derzeit Mitglied des Design-Teamsvon SAVVY Contemporary in Berlin und Co-Direktor von Estación Terrena, einem Raum für Kunst, Forschung und Technologie in Bogotá. Ich war 2020 Rapid Response for a Better Digital Future Fellow bei EYEBEAM.
https://puntojpgs.com/